Auf dem Kompost erfindet sich der Kürbis neu

Robert Atzlinger

Neben meinem Bett steht ein Topf mit einer Yucca-Palme. Sie ist ein neotropisches Spargelgewächs, was bedeutet, dass ihr Ursprung in Südamerika liegt. Mein Exemplar habe ich 1994 in Erfurt gekauft. Die Palme hat mich durch sieben Wohnungen in Österreich und Deutschland begleitet, ich habe sie mehrmals gestutzt und neu austreiben lassen. Pflanzen erzählen eine globale (= artspezifische) Migration und eine lokale (besitzerspezifische) Wanderung. Diese Recherche nimmt sich vor, in Kleingärten zusammen mit den Nutzer*innen eine herkunftsspezifische Aufschlüsselung der Pflanzenpopulation vorzunehmen.

Gibt es bei unseren Gartenpflanzen eine nennenswerte Gruppe lokalen Ursprungs? Was wächst wo am besten? Vertragen sich die „eingewanderten Pflanzen“ eher mit ebenfalls eingewanderten Arten, oder besser mit den schon heimisch gewesenen? Parallel dazu werden die Nutzer*innen nach den Vorgeschichten einzelner Pflanzen befragt: wie sie die Besitzer wechselten, Triebe weitergegeben wurden oder wie sich Arten gegen die Aussonderung wehren und aus dem Kompost „auferstehen“. Den Rahmen bilden Beobachtungen, welches Erscheinungsbild dem jeweiligen Garten durch seine*n Besitzer*in verliehen wird, welche Philosophie erkennbar ist. Aus den Erkenntnissen entstehen Gartenlandkarten mit der Struktur der Population. Eine weitere Ebene zeigt die Historien einzelner Pflanzenexemplare. Die abgebildeten Raumkonstellationen und Beziehungsgeflechte könnten Skizzen für eine Stückentwicklung sein.

Im Lauf der Residenz verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Untersuchung der Ausbreitungsmethodik der Pflanzen und die Darstellung von Fortpflanzungspartikeln (Pollen) unter Verwendung des Bildmaterials, welches zur gleichen Zeit die Zeitungen füllte: Bilder von Krieg und Ausbreitung von Truppen. So entstanden Collagen, die Kriegsbilder in Verbindung bringen mit den Auskristallisierungen von Fortpflanzungsenergie.

Robert Atzlinger

Robert Atzlinger, geb 1965 in Wels, Österreich, absolvierte das Schauspielstudium am Bruckner-Konservatorium in Linz, und Dramaturgie-Workshops bei Stephan Teuwissen (Hdk Zürich). Seit 2001 arbeitet er freiberuflich im Bereich Schauspiel, Performance, Text und Dramaturgie mit Künstler*innen der freien Theaterszene zusammen. Ein Schwerpunkt in Robert Atzlingers Arbeit ist das Erzählende Theater mit seinen Möglichkeiten der Kontaktausformulierung mit dem Publikum.